Nils Freye

Projektskizze

Die Defragmentierung von Motiven, Figuren, Charakteren in zahllose Bruchstücke und schmale Flächen dekonstruiert in dem Moment auch den thematischen Überbau und stellt zum einen die Fragilität dessen heraus, zum anderen aber auch die Vielschichtigkeit und Hypersensibilität verhandelter Inhalte. Die Formsprache transportiert Fragen zur Identität, Sozietät, aber auch die relationale Verstrickung der Phänomene. Symboliken zeitgenössischer Krisen fokussieren bspw. Elemente eines (häufig wiederkehrenden) Rettungsrings als Zeichen der Hilfe und Zuneigung, aber auch als Objekt der Einsamkeit und Verlorenheit. Schwer zu identifizierenden Motive und Muster erzeugen zudem eine chaotische, zerrissene Stimmung, gehören jedoch auch innerhalb der Farb- und Bildgebung wie in der sozialen Wirklichkeit zusammen. Form und Objekt streifen sich regelmäßig, stehen in Verbindung zueinander, gleichzeitig spürt der Betrachter eine gewisse Distanz der leblos dargebotenen Objekte. Nebst jener gesellschaftlichen Dimension, die ich meist versuche anzureißen, ist es die eigene Unverbundenheit mit der (sozialen) Welt, sowie einhergehende Unklarheit und Zerstreutheit u.a. im Umgang mit (betroffenen) Menschen, die partiell aus der eigenen wahrgenommenen Wirklichkeit in die Werke hineinfließen. Auch die intrapersonale Suche nach dem Selbst und die Undeutbarkeit dessen finden sich insbesondere in der Ästhetik, aber auch in der Themenwahl wieder.

Klebeband rückt hier häufig in die Rolle des Protagonisten und strukturiert das Werk. Über Wochen teils durch den Zufall entstandene Maluntergründe auf Klebeband verbinden sich mit scharfen, gewollten Kanten und angedeuteten Motiven im Laufe der Zusammensetzung, diese bilden abstrakte Muster. Sonst nur für den Mülleimer gedacht, bilden Reste hier häufig die Grundlage oder die Akzentuierung der Gestaltungsmöglichkeiten. So entsteht mithilfe durchdachter Arrangements und nachträglicher Überarbeitung Neues aus ursächlich verworfener Farbe, um so die Verwertbarkeit, aber auch die Überproduktion und den Ressourcenverbrauch in der Gesellschaft aufzuzeigen.

 

Das Stipendium bietet mir Ruhe neu kreierte Techniken zu konkretisieren und umzusetzen. Besonders der neue, bisher für mich unerschlossene Ort, kann zu neuer Inspiration und Achtsamkeit hinsichtlich der kreativen Arbeit führen. Meine Arbeiten auf Klebeband als Fortführung meiner Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Unterschieden wie die Hautfarbe oder das Geschlecht defragmentieren bestimmte Symboliken und Zusammenhänge und lassen sie durch die spezifische Formsprache in einem neuen Licht erscheinen. Innerhalb des Stipendiums möchte ich abschließende Arbeiten zur blauen Serie mit Klebeband anfertigen. Die blaue Serie zur Migrationsthematik begann ich 2019; diese mündet nun in ihren Fortführungen in eine neu entstandene Herangehensweise und gewinnt somit an Interpretationsräumen. Jene Verbindung von zugrundeliegender Thematik und eines vielschichtigen, fragmentierten, teils linearen, teils gebrochenen Stils möchte ich im Zeitraum des Stipendiums verstärkt explorieren, um Ästhetiken und Bedeutungen intensiver in Verbindung treten zu lassen. Ausgewählte Beispiele erster Arbeiten dazu habe ich in diesem Dokument angehängt. Ziel des vier-wöchigen Aufenthaltes im Umland von Lüneburg ist es für mich also die vorgezeigten Exempel weiterzuentwickeln und auch thematisch zu beenden, da jene Stilrichtung die kommenden Jahre meiner Arbeiten prägen werden. Konkret sollen hier erste Werke entstehen, in denen zwei oder mehr Erzählungen/ Motive miteinander in Interaktion treten und durch die Klebetechnik sich einerseits bedingen, andererseits abstoßen.

Parallel dazu arbeite ich seit einem Jahr an der Serie Trash I, in der die Rückstände, Malunterlagen und Übungsflächen der Werke ebenfalls mithilfe von Klebeband zu neuen Bildern werden (auch hierzu ein Beispiel im Anhang). Angelehnt an Methoden des Upcyclings stehen schöpferische Prozesse hier sinnbildlich für die mangelnde Verwertbarkeit von Konsumgütern. Die kreative Kraft des Zufalls inspiriert Werke, die mit ökologisch nachhaltigen Sprühfarben gemalt und durch inszeniert verarbeitete „Reste“ einen neuen Glanz bekommen. Auch hierzu sollen Werke neu entstehen.